Wald - zwischen Mythos und Lebens(t)raum

sonntags-extra-Sendung für das ZDF

BRD, 2011
Dauer: 27:30 min
Eine Sendung von Florian Beck und Christian Schnelting

Er ist Mythos, Erholungsort und Sorgenkind in Einem – der deutsche Wald. Und er kann jede Menge Geschichten erzählen. Grund genug für uns und unsere Moderatorin Andrea Ballschuh, ihn zu besuchen – in einem Sonntags Spezial im Frühsommer des von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Jahr der Wälder ausgerufenen Internationalen Jahr des Waldes 2011.

Im Zentrum der Sendung steht der Stadtwald Templin. Dort arbeitet der Förster Joachim Lange in einem einzigartigen Projekt: Er ist von der Waldhofschule in Templin angestellt, um mit den Kindern der ganz auf Inklusion setzenden und im letzten Jahr mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichneten Schule in den Wald zu gehen und dort zu arbeiten. Jeden Tag ist er mit gesunden und meist geistig behinderten Schulkindern der Waldhofschule in einem rund 700 Hektar großen Teilstück des Stadtwaldes unterwegs, wo sie gemeinsam Bäume auszeichnen, pflanzen und für Erträge aus dem Wald sorgen. Denn der Stadtwald Templin ist ein Wirtschaftswald – und die Schule muss die Pacht für den Wald erwirtschaften. Quasi nebenbei eröffnet der Wald den Kindern und Jugendlichen ein gewaltiges Entwicklungspotenzial. So können Grundschulkinder unter der Anleitung von Joachim Lange und einer Gruppe geistig behinderter 7.Klässler Bäume pflanzen, ehe die 7.Klässler nach einem gemeinsamen Mittagessen im Wald zum Holzmachen aufbrechen, wo Joachim Lange eine kleine Erfolgsgeschichte zu erzählen hat: „Also Melanie zum Beispiel wollte unbedingt Holz spalten. Wir haben überlegt, können wir ihr das zutrauen, kann sie das schaffen? Wir haben einen leichten Spalthammer gekauft, sie hat geübt, sie hat Sport gemacht. Jetzt kann sie einen ganz normalen Spalthammer benutzen und spaltet damit Holz, darauf ist sie sehr stolz, das hat ihr viel Selbstvertrauen gegeben – und ich bin ganz glücklich darüber, dass wir ihr das zugetraut haben und dass sie die Gelegenheit hatte, sich selbst zu beweisen.“ Dass auch sie glücklich ist, ist ihr anzusehen…

Ein Abstecher führt in einen Wald nur wenige Kilometer von Templin entfernt, der seit 20 Jahren ganz sich selbst überlassen ist. Rangerin Beate Blahy nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch den Buchenwald Grumsin, in dem einst DDR-Staatssicherheitsminister Erich Mielke jagte – und sich schon jetzt die Natur wieder ihr Territorium zurückerobert. Zu den typischen Merkmalen dieses Waldes zählen die Moore, fantastische Märchenorte, geheimnisvoll und auch gefürchtet.

Nach einem Gespräch zum Thema Waldhege und Jagd mit dem Förster Joachim Lange, der sein Revier auch bejagt und unsere Moderatorin auf dem Jägerstand begrüßt, eröffnet der  niederbayerische Künstler Peter Wagensonner ganz besondere Einsichten in unser Verhältnis zum Wald. Denn der Bildhauer holt den Wald in die Innenräume – und hat für dort „Wälder“ aus duzenden ausgehöhlten Bäumen geschaffen, um den Menschen das Wesen der Natur wieder vor Augen zu führen. „Ich hole den Wald in die Räume rein, die von Menschen gestalteten Räume, weil ich ein Stück Natur, abstrahierte Natur in die Räume bringe. Räume sind ja aufgebaut auf der Geraden, dem rechten Winkel, kalten Materialien. Und da möchte ich die Lösungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Natur entgegensetzen.“ Seit Jahrzehnten bringt Wagensonner mit erheblichem technischem Aufwand das Wesen der von ihm künstlerisch bearbeiteten Bäume zum Vorschein – und taucht dabei in die Stammesgeschichte des Menschen ein. „Ich denke, dass in der Entwicklung der Menschen in Europa, wir Menschen sehr in den Wäldern groß geworden sind und deshalb die Bäume eine sehr elementare Bedeutung für uns hatten zumindest. Und dass wir das auch unbewusst noch weiter in uns tragen. Und ich glaube, dass man das auch noch spürt zum teil – und wenn ich so dran arbeite, denke ich mir das manchmal auch noch ganz besonders intensiv.“ Beim genaueren Blick auf die Bäume interessieren den Bildhauer vor allem die Verletzungen, die sie im Lauf ihres Lebens erfahren und – in Form von teils mächtigen Umwallungen verarbeitet haben: „Diese Umwallung einer Buche in dem Fall passiert wenn ein Baum eine Verletzung hat. Was für mich dabei wichtig ist, dass all den Versuchen zu heilen, Achtung entgegen kommt.  Dass ich selbst Achtung entwickle und dass auch der Betrachter Achtung entwickelt. Denn wir selbst haben ja auch Verletzungen und denen ist ja auch mit Achtung zu begegnen.“

Eine besondere Art der Achtung bringen diejenigen dem Wald entgegen, die ihn als Ort ihrer Bestattung wählen – wie hunderte Menschen, die sich den Ruheforst in Glücksburg als letzte Ruhestätte ausgesucht haben. Zu ihnen gehört das Ehepaar Kleinfeld, das seine letzte Ruhe unter einer stattlichen Eiche an der Flensburger Förde finden will. Seit Gesine und Gernd Kleinfeld vor ein paar Monaten die Entscheidung gefällt haben, geht es ihnen viel besser. Denn einerseits wissen sie, dass viele ihrer Freunde die Stelle auf ihren Spaziergängen passieren werden. Andererseits sind sie der Sorge um Grabpflege und den für alle Familienmitglieder richtigen Bestattungsort ledig. Zustimmung findet der Wald als Bestattungsort auch bei Thomas Rust, dem Pastor der evangelisch-lutherischen Gemeinde Glücksburg: „Die ganze Atmosphäre eines solchen Ruheforstes wirkt auf mich sehr faszinierend und auf die Angehörigen bei einer solchen Bestattung sehr sehr trostvoll. Es ist diese gefühlte Einheit von Gott, Mensch und Natur, die eine ganze Trauerfeier dort im Ruheforst begleitet.“  Für die Kleinfelds ist „ihr“ Baum inzwischen noch viel mehr geworden, als ihre zukünftige Grabstätte: „Ich komme regelmäßig hierher, immer entweder wenn ich sehr nervös bin oder mich irgendetwas bedrückt“, meint Gesine Kleinfeld. „Irgendwie habe ich schon nach kurzer Zeit das Gefühl, der Baum gibt mir Kraft, er gibt mir Ruhe. Und die brauche ich ganz dringend.“

Der letzte Beitrag der Sendung entführt die Zuschauer zwischen die Wipfel des Nationalparks Bayerischer Wald, wo sich der weltweit längste Baumwipfelpfad entlangschlängelt. Bis auf 44 Meter über dem Boden geht es hinauf – und bleibt dabei alles behindertengerecht. Der Baumwipfelpfad hat erst 2009 eröffnet – und schon über 500.000 Besucher. Längst ist das Bauwerk selbst zur Attraktion geworden. Es hat sogar schon einen Architekturpreis bekommen – und könnte fast vom Naturerlebnis ablenken.

Zum Abschied lädt Andrea Ballschuh die Zuschauer ein, bei einer Greifvogel-Beringung mit dabei zu sein. Denn einmal im Jahr nimmt Joachim Lange seine Schüler mit, wenn ein Baumkletterer junge Milane aus ihren Nestern holt…

Wald - zwischen Mythos und Lebens(t)raum
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